Jeden Tag schaut ein neues Gesicht in das Ringlicht, die Finger wischen dabei hektisch über die grellen Bildschirme und die wirren Seelen versuchen hoffnungsvoll ein kleines Bisschen Bestätigung zu erhaschen. „Und wenn morgen alles endet, dann weil das Ende heute trendet“ (Aus: Unendlichkeit).
Gleichzeitig stolpert Paul Gerlinger aus seiner Parterre Altbauwohnung im Osten Mannheims, auf dem Weg zur Arbeit: „Ich bin keine Projektionsfläche, keine Kunstfigur, das kann und will ich auch gar nicht. Ich bin einfach ein normaler Kerl, mit einem normalen Leben – nur schreibe ich da halt Lieder drüber.“ Er bringt eine Selbstgedrehte zum glimmen und lacht herzlich – ein sympathischer Charakter, dem man sich nur schwer entziehen kann. Aber… Warum sollte man das auch.
Gerlinger braucht nur eine Gitarre und ein Klinkenkabel, um sich seinen direkten Weg in die Kammern und Köpfe der Lauschenden zu bahnen und dennoch sind ihm die großen Bühnen keinesfalls fremd: Bereits als Support für Provinz, Mola oder Dermot Kennedy und unter den diversen Festival-Traversen der Republik wie Maifeld Derby und Watt En Schlick trug er seine Lieder vor, und zwar so, wie er eben ist: Direkt und ehrlich, schwermütig bis selbstironisch und doch stets in der Mitte seiner selbst. „Ich glaube da verstecken sich meine beiden Opas in mir“, erklärt Paul: „Der eine besonnen und klar, der andere immer mit einem Witz auf Lager.“ Doch nicht nur im Charakter, auch in der Leidenschaft für Musik und Lyrik finden sich die prägenden Großväter wieder, denn beide teilten die Liebe zum Piano und „außerdem ließ sich das Taschengeld recht zuverlässig mit auswendig gelernten Gedichten von Eugen Roth aufstocken“. Diese Hingabe für das Handgemachte und Aufrichtige spürt jeder, der Ohren und Augen hat, denn Paul greift das Publikum aus dem Rauschen der Zeit und hält die Gedanken genau da fest, wo sie fließen – bis ein Augenblick der ungefilterten Selbsterkenntnis entsteht: Paul Gerlinger lässt uns so normal, so traurig, so langweilig und so originell sein, wie wir eben sind. Er jagt das „Echte“ in Wort und Klang – da findet sich keine Ausnahme in der mittlerweile millionenfach geklickten Diskographie. Auch der kalte Algorithmus scheint sich der warmen Melancholie nicht ganz entziehen zu können: „Alles was ich fühle, stecke ich auch konsequent in meine Lieder. Wenn ich es nicht ausdrücken würde, lauert es bloß in der Dunkelheit, um mich in einem unvorbereiteten Moment zu erwischen.“ Auch wenn die Gitarre stets das Zentrum Pauls Tonkunst ist, ist er in dieser Hinsicht keinesfalls pedantisch. Mit den kommenden Veröffentlichungen zeigt er, dass man sich manchmal am meisten treu bleibt, wenn man auch ausbrechen kann: Klassischer Chanson Sound kombiniert mit gechoppten Samples und einem „Nils Frahm-esken“, gedämpften Piano (Alles Perfekt), Klangflächen, die über ein sanftes Cello schweben (In Meinen Träumen) und rhythmisch hypnotisierende Gitarrenpatterns, die sich auf oldschool Drumbreaks legen (Große Nummer). Verbunden ist alles in einem charmanten Minimalismus, der immer genug Platz lässt für diese rauchige, den Äther durchdringende Stimme: „Und wenn morgen alles endet? Dann haben wir uns zusammen verschwendet“ (Aus: Unendlichkeit). Es ist eine erfrischende Essenz, die sich aus unverblümten Worten, ungezwungenem Tiefsinn und lebendiger Musik ergibt und jeden begeistert, der mit einem breiten Grinsen vorm Abgrund steht. Musik, die einfach schön sein darf und ins Herz fließt wie der Strom in den Draht. Wer diese Energie spüren will, wird sie auch zu spüren bekommen – spätestens bei Gerlingers erster Headline Tour im Herbst.